
Im März 1913 besuchte Karl Ernst Osthaus (1874-1921) mit seiner Frau Gertrud seinen Freund Walter Gropius (1883-1969) in Berlin. Osthaus hatte 1902 in seiner Heimatstadt im westfälischen Hagen das Museum Folkwang als Kunstmuseum eröffnet. Er war ein sehr aktiver Kunstmäzen und Kunstsammler. Als Überraschung führte Gropius seine Gäste zur Jahresausstellung der Berliner Secessionisten in die Ausstellungshalle am Kurfürstendamm. Neben Werken von Matisse, Cezanne, Pechstein, von Barlach, Gaul, Kolbe, Lehmbruck u.a. waren Arbeiten des jungen Oskar Kokoschka (1886-1980) zu sehen. Für Osthaus kein Unbekannter. Bereits 1910 hatte er Werke von ihm im Hagener Folkwang-Museum gezeigt.

Für Gropius aber wurden Kokoschkas Bilder zum Alptraum. Auf dem gerade von Oskar Kokoschka gemalten „Doppelbildnis“ (1912) erkannte er seine angebetete Alma Mahler (1879-1964), die als Geliebte des Malers dargestellt war. Alma, selbst Komponistin und Vertraute vieler Künstler der Wiener Moderne, hatte Gropius noch als Ehefrau des Komponisten Gustav Mahler, (1860-1911) während eines Kuraufenthaltes zweieinhalb Jahre zuvor in der Steiermark kennengelernt, geliebt und heiss begehrt.
Als Gustav Mahler zu Beginn des Jahres 1911 sehr erkrankte und im Mai des Jahres verstarb, stand Alma Mahler sehr fest und innig zu ihrem Mann. Gropius konnte das nicht verstehen und fühlte sich hintergangen.
Nun dieses Bild. Alma Mahler war ihm entglitten.

Es war 1912. Almas Beziehung zu Gropius ungeklärt, als ihr bei einem Essen der Maler Oskar Kokoschka vorgestellt worden war. Sie hatte schon von ihm gehört. Er war jung, ungezwungen, aufgeschlossen, lebendig, interessant … und ungestüm. Gleich bei dieser ersten Begegnung porträtierte er sie am Klavier sitzend, gleich bei dieser ersten Begegnung umarmte er sie stürmisch, war vom ersten Moment von ihr hingerissen. Gleich folgten Liebesbriefe, wie
“…Der Moment, als Sie sich ans Klavier setzten und spielten, als man das Talent und die wahre Alma in Ihnen aufglimmen sah, das war der Moment, an dem ich anfing, Sie zu lieben. ...” (1)
oder
„Wenn Sie mich achten können und so rein sein wollen, wie sie gestern waren …, so bringen sie mir ein wirkliches Opfer und werden Sie meine Frau, im Geheimen, solange ich arm bin.“ (2)
Stürmische Wochen folgten, sie sahen nur sich, liebten sich, stritten sich, verwirklichten ihre Liebe mit zauberhaften Ideen und vor allem Oskar Kokoschka malte ein Bild nach dem anderen, immer wieder „seine“ vergötterte Alma. Ihre feurige Liebe brachte ihn fast um seinen Verstand. Eifersucht und sein imperativer Wunsch, sie heiraten zu wollen, machten ihn abhängig, was sie genoss. 1913 reisten sie gemeinsam nach Italien, nach Neapel, nach München, in die Schweiz. Kokoschka begann die Arbeit an dem monumentalen Gemälde „Die Windsbraut“, dessen Name auf ein Gedicht von Georg Trakl (1887-1914) zurückgeht. Trakl war dabei, als das Bild entstand.

Lange hatten Alma und Oskar ihre Zuneigung in vollen Zügen genossen, aber fast wurde die Liebe zu stark, zu fordernd, machte sie zu abhängig, was zu beiden Charakteren nicht passte.
„Unser Himmel ist derselbe, aber unsere Welt eine verschiedene.“ (3)
Langsam versuchten beide, oft mit widerstrebenden Gefühlen, Abstand zu gewinnen. Mit dem Jahr 1914 war beiden klar, dass es eine gemeinsame Zukunft nicht geben wird. Oskar Kokoschka meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst. Er kam 1915 in ein Dragoner Regiment. Die Trennung von Alma Mahler war endgültig, wobei sie bis zu ihrem Lebensende immer wieder Kontakt suchten, war es ein Telegramm, waren es Blumen, Postkarten, Briefe. Als Kokoschka 1917 nach Dresden übergesiedelt war, liess er eine lebensgroße Puppe aus Stoff und Holzwolle fertigen, die ein Abbild Almas darstellte. Entsprechend angezogen, taufte er sie „Die stille Frau“. . Es entstanden Gemälde, unter anderem Frau in Blau (1919) oder Mann mit Puppe (1922), die die „stille Frau“ thematisierten.

Auf den Tag genau, 4 Jahre nach dem Tod ihres ersten Mannes Gustav Mahler, heiratete Alma Mahler am 18. Mai 1915 den Architekten Walter Gropius.
Die mit Alma Mahler verbrachte Zeit fällt mit dem Beginn der expressionistischen Schaffensphase Oskar Kokoschkas zusammen, die er bis 1922 verfolgte. Das Museum Folkwang war eines der ersten Museen, das Dank seines agilen Direktors Karl Ernst Osthaus 1910 Werke von Oskar Kokoschka präsentiert hatte.
1916 gelangte Kokoschkas erstes Porträt von Alma Mahler als Schenkung in die Sammlung Folkwang. Aber Alma wollte es wieder haben und nahm es mit nach Amerika, wo sie 1964 starb. Dieses Porträt Alma Mahler von 1912 kehrt anlässlich der aktuellen Ausstellung „Frau in Blau“ nach über 100 Jahren als Leihgabe ins Museum Folkwang zurück.

Die aktuelle Ausstellung „Frau in Blau. Oskar Kokoschka und Alma Mahler“ im Museum Folkwang Essen zeigt darüberhinaus 30 Werke des Künstlers, die ausschliesslich von Alma Mahler inspiriert wurden.
Frau in Blau. Oskar Kokoschka und Alma Mahler
bis 22.Juni 2025

Zur ausführlichen Information zu diesem interessanten Thema bitte folgende Adressen nutzen: www.museum-folkwang.de oder
Frau in Blau | Museum Folkwang
Museum Folkwang
45128 Essen, Museumsplatz 1
Öffnungszeiten: Sonntag 10:00–18:00
Montag Geschlossen
Dienstag 10:00–18:00
Mittwoch 10:00–18:00
Donnerstag 10:00–20:0
Freitag 10:00–20:00
Samstag. 10:00–18:00
Text: Dr. Michael Neubauer
Literatur
1 “Alma & Gropius” von Therese Lambert, aufbau taschenbuch, 2022, S.157
2 “Alma Mahler oder die Kunst geliebt zu werden”, von Francoise Girou, Zsolny-Verlag, 3. Auflage 1989, S. 139
3 “Alma Mahler oder die Kunst geliebt zu werden”, von Francoise Girou, Zsolny-Verlag, 3. Auflage 1989, S. 145