
Im September 2023 sah ich die Ausstellung „Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann“ in der Alten Nationalgalerie in Berlin. Viele berühmte Vertreter der Münchner, Wiener und Berliner Secession waren vertreten von Franz von Stuck über Gustav Klimt bis Max Liebermann. Ein Bild ist mir aber besonders in Erinnerung geblieben: die „Kirschernte“ von Dora Hitz (1853 - 1924) von 1905. Sie hatte eine farbenfreudige, lebensfrohe, expressive Malweise dafür gewählt. 6 Erwachsene und 3 Kinder stehen, sitzen und liegen unter Kirschbäumen. In einem großen Korb zeigt eine der Frauen stolz die Ernte, knallig rote Kirschen. Flüchtige Pinselstriche bedecken den Boden, alle Personen sind in den verschiedensten Bewegungen festgehalten, so dass das Bild mit einem überwiegend rötlichen Farbton wirkend, einen bewegten, lockeren, saftvollen Eindruck hinterlässt.
Dora Hitz, so geläufig war mir der Name bis dahin nicht, obwohl nachgelesen, sie in ihrer Zeit eine sehr anerkannte Künstlerin war. Wie konnte man sie vergessen? Lag es daran, dass sie nicht die Symbolistin, die Impressionistin war, sondern einfach eine überaus talentierte moderne Malerin?
Ihr Vater war Zeichenlehrer. Er erkannte früh ihre Liebe zum Zeichnen. Die gesamte Familie sparte, um ihre Talent durch eine Ausbildung in München zu ergänzen. Ihre Lehrer waren hier der Historienmaler Wilhelm von Lindenschmit der Jüngere und der vom Symbolismus und Impressionismus beeinflusste Heinrich Stelzner.
Sie war 23, als sie in einer Münchner Kunst- und Industrieausstellung Elisabeth zu Wied, die spätere Köngin von Rumänien, als Schriftstellerin Carmen Sylva bekannt, kennenlernte. Vier Jahre, von 1878 bis 1882, folgte sie deren Einladung als Hofmalerin nach Rumänien. Im Schloß Pellet in Sinaia in den Karpaten, in dem sich schon Gustav Klimt mit Wandgemälden verewigt hatte, schuf Dora Hitz Wandfresken für das Musikzimmer. Losgelöst von allen Sorgen entstanden Ölgemälde, Buchillustrationen, bei denen sie sich bewußt an der rumänischen Volkskunst orientierte.

Aber … der unruhige Geist in Dora forderte mehr. Dank der königlichen Unterstützung erfüllte sie sich ihren lang gehegten Wunsch und zog nach Paris. Neben einer Reihe anderer Maler, von denen sie lernte, denen sie folgte, war besonders Eugène Carrière (1849-1906) für sie maßgebend. Seine Eigenheit, häusliche Szenen, Themen der Mutterschaft und Porträts zu malen prägten ihr späteres Interesse. Sein sehr individueller Stil war durch monochrome Farben, verfremdete Elemente, weiche, vergängliche Formen, die aus tiefer Dunkelheit Porträts, intime Szenen, Landschaften entstehen ließen, gekennzeichnet, Bildzeichen, die im ersten Moment paradox erscheinen, den Betrachter zur Auseinandersetzung auffordern. Sein gefühlvolle, weiche, große Formen umfahrende, Pinselführung wurde für Dora Hitz für lange Zeit maßgebend. Kontakte zur Pariser Avantgarde eröffnete ihr ein weiterer Symbolist: Pierre Puvis de Chavannes.
Nach einem kurzen 1 ¹⁄₂ jährigen Aufenthalt in Dresden, liess sie sich ab 1892 in Berlin am Lützowplatz nieder. Wichtig war für sie, Kontakte zu knüpfen, Auftraggeber kennenzulernen. Es gelang ihr durch die Mitgliedschaft im „Verein Berliner Künstlerinnen und Kunstfreundinnen“. Sie etablierte sich, 1894 gründete sie eine Malschule für Damen.
… Der Nachdruck, womit dort getadelt und hier gelobt wurde, liess die künstlerisch interessierten Gesellschaft aufmerken und es dauerte nicht lange, bis die Malerin sich einen festen Platz in dem immer kräftiger pulsierenden Kunstleben Berlins errungen hatte.
Karl Scheffler in „Kunst und Künstler“ 1916, Heft 8, S. 383
Die Berliner Zeit war thematisch in vier Richtungen, denen auch die aktuelle Ausstellung in der Max Liebermann Villa folgt, gegliedert:
Frauen in floralen Räumen,
Mutter-Kind-Bilder,
Auftragsporträts, meist bekannte weibliche Persönlichkeiten und
italienische Szenen.

Dora Hitz entwickelte sich in diesen Jahren neben Maria Slavona zur bedeutendsten Malerin in Deutschland. Mit Käthe Kollwitz und Max Beckmann war sie freundschaftlich verbunden.
1898 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der impressionistischen Künstlergruppe “XI“, der Vorläufergruppe der Berliner Secession, zu deren Gründungsmitgliedern sie neben Sabine Lepsius, Ernestine Schultze-Naumburg und Julie Wolfthorn zählte. Die Berliner Secession ließ als erste große Künstlervereinigung Deutschlands auch Frauen zu.
Hielt sich Dora Hitz in der vergangenen Jahren an Carrières weiche und leichte Pinselführung verbunden mit einem warmen Lichtschein änderte sich ihr Malstil in den Berliner Jahren. Angeregt durch die impressionistische und postimpressionistische Malweise bedeutender männlicher Vorbilder wie Max Liebermann, Lovis Corinth oder Max Slevogt, noch mehr nach einem Studien-Aufenthalt in Florenz.

Dora Hitz hatte sich 1906 an der Jahresausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Weimar beteiligt. Für das Ölgemälde „Portrait von Frau Margarete Hauptmann“ (Ehefrau von Gerhart Hauptmann) bekam sie den “Villa Romana Preis” verliehen, der diese Studienreise nach Italien und ein Stipendium beinhaltete. Ihre Bilder wurden farbiger, die Pinselführung gelöster, das Licht dominierte, die Aussage wurde klarer, irdischer.
Jetzt entstanden die „Kirschernte“ (1905) oder die „Weinernte“ (1909)

„Dora Hitz soll, wie ihre Bekannte Gertrude Rostosky in einigen Nachlässen schreibt, eine vornehme, aber sehr zurückhaltende Person gewesen sein. … Die emotionale Schreibweise (in ihren Briefen, Verf.) lässt Rückschlüsse auf eine liebevolle, empfindsame und bescheidene Persönlichkeit zu, die sich auch in Dora Hitz` Werken, vor allem ihren Portraits widerspiegeln.
Sophie Schmidt in „Dora Hitz“ bei GRIN 2016, S. 12
Während des Ersten Weltkrieges wurde sie krank. Finanzielle Probleme traten auf, man glaubt es nicht, soweit, dass eine Spendenaktion notwendig wurde. Sie vereinsamte. .. und sie wurde vergessen.
Ihr Name, ihr Werke lagen lange brach.
Natürlich lag es an der gesellschaftlichen Einordnung der Frau, an der folgenden politischen Entwicklung der 1930er Jahre. Die Leistungen der Künstlerinnen wurden nicht ernst genommen. In der Kunstwelt blieben nur die Männer in Erinnerung. Sie definierten die Künstlerbewegung und bestimmten, wer dazugehörte. Durch ihre vielfältigen Publikationen betrieben sie ihre Selbststilisierung.
Es ist deshalb wichtig und eine große Freude, dass die aktuelle Einzelausstellung zu Dora Hitz in der Berliner Liebermann-Villa diese große Künstlerin in unser Bewusstsein zurückholt.

Dora Hitz
Mit dem Alten um das Neue kämpfen
bis 20. Januar 2025
Liebermann-Villa am Wannsee,
Colomierstr. 3, 14109 Berlin,
Öffnungszeiten
Montag 11:00–17:00
Mittwoch bis Sonntag 11:00 - 17:00
Dienstag Geschlossen
Text: Dr. Michael Neubauer